Frankreich: Mit einem Esel durch die Cévennen
Durch wilde Schluchten, idyllische Flusstäler, Kastanienwälder und ein Ginstermeer.
„Allez, Jonquille!“ Nach kurzem Ziehen am Führstrick trottet unsere sympathische Eseldame auch schon gemächlich los. Es ist der erste Tag unserer fünftägigen Wanderung, die wir ganz alleine mit einer Eselin durch die französischen Cévennen bestreiten. Gut ausgestattet mit Kartenmaterial und Wegbeschreibung treten wir die erste Etappe an. Mit nur 15 Kilometern Wegstrecke geht es gemächlich los und so haben wir genügend Zeit, uns an unsere Begleiterin zu gewöhnen. „Es ist wichtig, dass ihr euch gleich am ersten Tag durchsetzt und sie nicht dauernd fressen lasst“, gibt uns Eselbesitzer Alain, der ausgezeichnet Englisch spricht, noch als Tipp mit auf den Weg, als wir nach der ersten Nacht und einer genauen Einführung in die Eselpflege von seiner Unterkunft inmitten der Berge, nahe des kleinen Ortes Pont de Burgen, losstarten. Eselwandern hat in den Cévennen eine lange Tradition. Schon der berühmte Schriftsteller Robert Louis Stevenson machte sich 1887 mit seiner Eselin Modestine auf eine Wanderung durch das französische Zentralmassiv und war davon so begeistert, dass er seine Erlebnisse in einem Buch festhielt.
Saftiges Grün und Pinien
Noch etwas unsicher bewegen wir uns auf den ersten Kilometern und halten immer wieder an, um die traumhafte Landschaft, die sich uns auf der Wanderung bietet, zu bewundern. Es ist Mai und der Ginster steht bereits in voller Blüte. An vielen Orten verwandelt er die Landschaft in ein gelbes Ginstermeer, umgeben von saftigem Grün, duftenden Pinien und idyllischen Flusstälern. In der Ferne ist ein altes, verträumtes Schieferdorf zu sehen, das mit großer Wahrscheinlichkeit längst verlassen ist und an eine Zeit erinnert, in der die Seidenindustrie noch florierte. Rechtzeitig zur Mittagspause kommen wir an einen Fluss. Damit auch Jonquille sich erholen kann, nehmen wir ihr die Packtaschen ab, lassen sie trinken und binden sie im Schatten an. Mehr als die Hälfte der Etappe ist bereits geschafft und so essen wir in Ruhe die Jause, die wir in der Unterkunft bekommen haben, und legen uns für ein Stündchen unter einen Baum, um ein Nickerchen zu machen. Für ein Bad im Fluss ist es in dieser Jahreszeit noch etwas zu kühl. Nach fünf Stunden erreichen wir schließlich unser erstes Etappenziel, wo wir unsere Begleiterin erst mal versorgen und auf die Weide stellen, bevor wir selbst unser Zimmer beziehen. Wir sind heute die einzigen Gäste und so essen wir, wie es in fast allen Unterkünften üblich ist, gemeinsam mit unseren Gastgebern in deren Wohnzimmer und haben jede Menge Zeit für spannende Gespräche, in denen wir viel über Land und Leute erfahren. Es gibt köstliche Karottensuppe, geschmortes Fleisch mit selbstgemachten Nudeln, Salat aus dem Garten und natürlich verschiedenste Ziegenkäse aus den Cévennen. Nach einer erholsamen Nacht holen wir Jonquille wieder von der Weide und beladen sie mit unseren Packtaschen. Inzwischen haben wir uns aneinander gewöhnt. Nach einer kurzen Strecke entlang der kurvigen Bergstraße zweigen wir auf einen kleinen Eselpfad ab. Hier wird es noch mal anstrengend, als wir über die Serpentinen steil bergab bis zum Fluss gehen, wo wir wieder die Mittagspause verbringen. In unserer Dose finden wir diesmal Wildschweinpastete (natürlich selbstgemacht), Tabulé, Käse, Äpfel und Kekse.
Schluchten und saftige Wiesen
Fernab vom Stress des Alltags und von Lärm wandern wir die nächsten beiden Tage auf bunten Wiesenwegen, einsamen Eselpfaden, die in wilde Schluchten führen und auf Serpentinen, die uns immer höher hinausbringen. Richtig anstrengend ist es selten. Das Tempo bestimmt ohnehin meistens Jonquille. Dass Esel stur sein können, wissen wir mittlerweile. Mit ein bisschen Überzeugungskraft geht es aber meistens schnell wieder weiter.
Die längste Etappe haben wir an Tag vier mit knapp 24 Kilometern zu bestreiten. Gleich in der Früh stellt uns unsere graufellige Gepäckträgerin zum ersten Mal so richtig auf die Probe. Nur 100 Meter von unserer Unterkunft entfernt bleibt sie an einer kleinen Steinbrücke stehen und macht keine Anstalten mehr, weiterzugehen. Da helfen auch saftige Karotten und alles Schieben und Ziehen nichts mehr. Zum Glück eilt uns Ludovic zur Hilfe und zeigt uns nach ein paar weiteren vergeblichen Versuchen, die Eselin zu bewegen, einen kleinen Umweg, den Jonquille dann auch mit uns geht, als wäre nie etwas gewesen. Inzwischen trottet sie meist sogar ohne Strick hinter uns her und stupst uns ab und zu mit dem Kopf an, um sich zu kratzen oder lästige Fliegen zu vertreiben. Viel zu schnell vergehen die fünf Tage und wir kehren zwar etwas müde vom vielen Gehen, aber völlig entspannt wieder zurück zu Eselbesitzer Alain, wo wir uns schweren Herzens von Jonquille verabschieden.
Eselwandern für die ganze Familie
In den ganzen Cévennen werden Eselwanderungen mit verschiedensten Schwierigkeitsgraden angeboten. Besonders spannend ist so ein Trekking mit einem Vierbeiner natürlich für Kinder, die durch den Esel noch mehr zum Wandern motiviert werden. Kinder (bis 40 kg) dürfen zwischendurch, in flachen Passagen, auch schon mal auf dem Esel reiten.